„Männer, die die Welt verbrennen“ können unseren Planeten auch weiterhin zerstören, weil sie die entsprechende Machtfülle haben. Diese festigen sie mit millionenschwerer Lobbyarbeit und gehen nicht nur sprichwörtlich über Leichen. Die Top-4 der größten Mineralöl- und Erdgaskonzerne der Welt sind: Saudi Aramco, ExxonMobil, Chevron und Shell. Vor allem Shell ist in Europa Teil des Straßenbildes. Zu den Tankstellen kommen die Skandale in den Medien. Auch wer mit E-Mobilität unterwegs ist, kann schneller als einem lieb ist zum Shell-Kunden werden. „Shell Recharge“ macht’s möglich und gibt einem der dreckigsten Unternehmen der Welt ein irgendwie sauberes Image.
Unsere Gesellschaft liebt Macht-Player. Zwölfstellige Jahresumsätze pro Konzern und operative Geschäfte in fast jedem Land der Welt ermöglichen Mechanismen, diese Macht noch weiter auszubauen. Mit Öl und Gas werden 3 Milliarden US-Dollar Gewinn pro Tag gemacht, jeden Tag, 365 Tage im Jahr, seit 50 Jahren. Hinter der vermeintlichen Erfolgsfassade der Energieriesen verbirgt sich aber eine Geschichte von Gier und Zynismus, die auf Kosten von Umwelt, Menschenrechten und der globalen Klimaziele geschrieben wird. Dieser Artikel beschreibt nur einige zerstörerische Praktiken von Shell und Co, also quasi ein Best-of, weil eine umfassende Auflistung jeden Artikelrahmen sprengen würde.
Die Umweltbilanz der Energieriesen liest sich wie ein Handbuch zur Zerstörung unseres Planeten. Komisch, weil sich einige dieser Unternehmen die Fassade geben, nur „Trading“-Companies zu sein, also mit dem fossilen Wahn nur zu handeln, anstatt ihn zu fördern. Eine Nebelkerze. Fakt ist: Saudi Aramco, Chevron, ExxonMobil und Shell gehören zu den größten CO₂-Emittenten der Geschichte. Wissenschaftler:innen des amerikanischen Climate Accountability Institute zeigen in einer Datenauswertung (die du hier findest), wie nur wenige Unternehmen seit 1965 massiv zur Klimakrise beigetragen haben. Saudi Aramco führt die Liste an, mit einer Verursachung von über 59 Milliarden Tonnen Kohlendioxid und Methan, gefolgt von Chevron, mit über 43 Milliarden Tonnen. Auf Platz 7 findet man Shell, das zwischen 1965 und 2017 rund 32 Milliarden Tonnen Kohlendioxid und Methan verursacht hat. Shells Beteiligung alleine sind 2,36 % der weltweiten Emissionen. Und damit mehr, als die gesamte Bundesrepublik Deutschland im gleichen Zeitraum verursacht hat.
Wen kann es noch überraschen, dass es diese Wirtschaftsmächte bei den Fördermethoden mit gesetzlichen und ethischen Regeln nicht so genau nehmen; sie stehen für destruktive Fördermethoden. Fracking und Teersandförderung zerstören ganze Ökosysteme, während Tiefseebohrungen unkalkulierbare Risiken bergen. Am 20. April 2010 explodierte die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko (den ein angehender Diktator gerne in „Golf von Amerika“ umbenennen möchte), wobei rund 780 Millionen Liter Öl ins Meer flossen. Diese Katastrophe ging auf die Kappe von BP. 11 Arbeiter kamen ums Leben. Ihre Leichen wurden nie gefunden. Kein Grund für die Konkurrenz, Verfahren zu überdenken. Auch hier beteiligt, die „Trading-Company“ Shell: Mit dem „Stones-Projekt“ vor New Orleans, das die Erdölbohrung in der bislang größten Wassertiefe darstellt (und 2016 in Betrieb ging) oder mit der nicht immer so dichten Ölplattform „ Gannet Alpha“ rund 180 Kilometer östlich vom schottischen Aberdeen mischt das Unternehmen überall mit, wo sich Geld verdienen lässt.
Andere Baustelle: Fracking, das in verschiedenen Ländern praktiziert wird, kann das Grundwasser verschmutzen und hat in Deutschland zurecht zu einem Moratorium geführt. Kein Grund für die Profiteure, an dieser Praxis zu zweifeln. Von Texas nach Südafrika, wo Schiefergasvorkommen vermutet werden, sind die Energieriesen nicht weit. Das kann bisweilen skurril werden, wie ein Beispiel zeigt. Rex Tillerson war, bevor er 2017 Trumps Außenminister wurde, Vorstandsvorsitzender von ExxonMobil. Der Konzern ist einer der größten Anwender der Fracking-Methode in den USA. Für Tillerson hörte der Spaß erst dann auf, als ein Fracking-Projekt nahe seiner Ranch in Texas geplant wurde. Er schloss sich 2014 einer Sammelklage gegen sein eigenes Unternehmen an, weil das Fracking-Vorhaben den Wert seines Anwesens reduzieren würde.
Auf der anderen Seite der Welt wird, im Niger-Delta, begreifbar, was dreckige Geschäftspraktiken anrichten. Seit den 1950er Jahren hat Shell die ungefähr 70.000 km² große Fläche des nigerianischen Deltas in eine der am stärksten verschmutzten Regionen der Welt verwandelt. Bis zu 1,5 Millionen Tonnen Öl wurden dort durch Lecks und Unfälle freigesetzt, was zur Kontaminierung von Böden, Flüssen und Trinkwasser führte. In einer Region, in der Trinkwasser ohnehin einen besonders existentiellen Wert hat. Zwischen 1997 und 2006 gab es bis zu 250 Öllecks in Nigeria – nicht kumulativ, sondern jährlich. Dadurch wurden nachweislich zahlreiche indigene Gemeinschaften vertrieben. Außerdem wurde Shell ab Ende 1995 in einen Skandal verwickelt, als das Unternehmen beschuldigt wurde, die Hinrichtung des nigerianischen Aktivisten und Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa sowie acht seiner Mitstreiter indirekt unterstützt zu haben. Kleiner Hoffnungsschimmer: Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens sprach Anfang 2021 den Bewohnern des Niger-Deltas das Recht zu, Shell vor britischen Gerichten zu verklagen.
Diese Liste an Ereignissen ließe sich beliebig verlängern: Von den Vorwürfen von Ureinwohnern gegen BP, in Kolumbien 9.000 Mordfälle begangen zu haben, über Chevrons Anzeigen gegen Umweltaktivisten um diese als kriminelle Vereinigungen deklarieren lassen, bis zu ExxonMobils Grundwasservergiftung in der Nähe New Yorks: Es wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Wer so viel monetäre Macht besitzt, der setzt auf Lobbyarbeit. Die umtriebigen Konzerne investieren jährlich Millionen in strategische Kommunikation und Lobbyorganisationen, um strikte Klimaschutzgesetze überall auf der Welt zu verhindern. Laut einem Bericht des britischen Guardian aus dem Jahr 2021 über das American Petroleum Institute (API), einer der mächtigsten Lobbygruppen der fossilen Industrie, wird deutlich, wie intensiv diese Bemühungen sind. Nur Shells jährliche Spenden alleine an den API bewegen sich im sieben- bis achtstelligen Bereich. Der CEO des API, Mike Sommers, widersetzt sich gerne diversen Umweltmaßnahmen, etwa der Finanzierung neuer Ladestationen in den USA. Er behauptet, ein „überstürzter Übergang“ zu Elektrofahrzeugen sei Teil einer „Regierungsmaßnahme zur Einschränkung der Wahlmöglichkeiten der Amerikaner beim Transport“. Und wo Lobbyismus nicht reicht, wird auch gerne mal zu anderen Methoden gegriffen. Eine aktuelle Recherche von Reuters zeigt, wie ExxonMobil tiefer in das Hacking von Umweltaktivist:innen verwickelt ist als bisher bekannt. Das dadurch gewonnene Material wurde benutzt, um Klima-Klagen gegen ExxonMobil zu diskreditieren.
Senator Sheldon Whitehouse ist ein Demokrat aus Rhode Island und tritt als scharfer Kritiker der PR-Taktiken der großen Ölkonzerne auf. Er beschuldigt das American Petroleum Institute, „im großen industriellen Maßstab“ über die Klimakrise zu lügen, um die Gesetzgebung zur Bekämpfung der globalen Erwärmung zu verzögern. Whitehouse ist sich sicher, dass die Öl- und Gasindustrie erkannt hat, wie wenig „sozial akzeptabel“ es sei, den Klimawandel rundheraus zu leugnen. Die Unternehmen stünden also unter Druck, zu behaupten, dass sie neue Energielösungen unterstützen, die weniger umweltschädlich sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihre Behauptungen stimmen. Der Bericht des Guardian zeigt, dass das API nicht nur direkt in Lobbyarbeit investiert, sondern auch in die Finanzierung von Kampagnen, die gezielt Zweifel an der Wissenschaft des Klimawandels säen. Es existieren möglicherweise Verbindungen zwischen dem API und Organisationen wie dem Competitive Enterprise Institute (CEI) und dem Heartland Institute, die den stärksten Klimawandel-Skeptizismus überhaupt verbreiten. Das CEI war Teil des Advisory Board für Project 2025. Man darf sich darauf einstellen, dass die Dinge nicht besser werden. Schon vor der Neuauflage des Trumpismus kam der größte Teil der Finanzierung der republikanischen Partei aus der fossilen Brennstoffindustrie. Sheldon Whitehouse vermutet hinter den fossilen Giganten auch einen Teil der großen Schwarzgeldzahlungen, die die republikanische Partei finanzieren.
„Seit Jahrzehnten weiß die Industrie der fossilen Brennstoffe über die wirtschaftlichen und klimatischen Schäden ihrer Produkte Bescheid, hat aber die amerikanische Öffentlichkeit getäuscht, um weiterhin jedes Jahr mehr als 600 Milliarden Dollar an Subventionen zu kassieren und gleichzeitig rekordverdächtige Gewinne einzufahren.“ — Sheldon Whitehouse
Trumps Ausstieg auf dem Pariser Klimaabkommen zeigt, welche strategische Richtung der zweitgrößte Emittent der Welt künftig einschlägt und öffnet den Lobbyisten der Energiekonzerne weitere Möglichkeiten. Laut Spiegel nahm an Trumps zweiter Vereidigung im Kapitol ein besonderer Vertreter der Öl- und Gasindustrie teil: Harold Hamm, Milliardär und Gründer von Continental Resources. Hamm wird nachgesagt, als Mittelsmann für mehr Spendengelder an die MAGA-Bewegung zu sorgen.
Die Mineralöl- und Erdgaskonzerne lieben Greenwashing. So sehr, dass es absurde Züge annimmt. ExxonMobil hatte zum Beispiel vor, im großen Stil in negative Emissionen zu investieren. Untersuchungen von openDemocracy legten dann Anfang 2024 nahe, dass dieses Projekt von Anfang an nur für das Reißbrett geplant war. Angekündigt war ein Verfahren, Kohlendioxid in einem Ölraffinerie- und Petrochemiekomplex an der Südküste Englands abzufangen und unter dem Meeresboden des Ärmelkanals zu speichern. Das Projekt hat aber weder eine Lizenz noch staatliche Unterstützung erhalten, und ExxonMobil weigerte sich, eigene Mittel für den Bau bereitzustellen. Paul Greenwood, der britische Exxon-Chef, sagte damals noch, das für 2030 gesetzte Ziel, eine erste Bauphase abzuschließen, könne nur erreicht werden, „wenn man einen Zauberstab schwingt“. Oder wenn der Steuerzahler die Kosten trägt. Laut BBC wurde das Projekt Ende 2024 ganz eingestampft.
Ähnlich humorvoll gibt sich Shell. Für ein Unternehmen, das sich interne Climate Change Advisors anstellt und mit agilen „Scenario“-Teams einen angeblich wachen Blick auf Klimafragen wirft, sind die wirklich relevanten Taten ein Witz. 2021 hatte Shell einen Energiewendeplan („ energy transition plan“) verabschiedet und darin teils ambitionierte Ziele ausgegeben. Doch da man nun festgestellt hat, dass Investitionen in Öl und Gas aufgrund der anhaltenden Nachfrage nach fossilen Brennstoffen weiterhin „notwendig sein werden“, kam 2024 die Dreijahresüberprüfung zu anderen Zielen: Zum einen wurde das Ziel „aktualisiert“, die gesamte „Netto-Kohlenstoffintensität“ aller an Kunden verkauften Energieprodukte zwischen 2016 und 2030 um 20 % zu senken. Die Reduzierung soll nur noch zwischen 15 und 20 % liegen. Und zum anderen entschied sich Shell aufgrund der „Ungewissheit über das Tempo der Energiewende“ dafür, sein Ziel für 2035, die Netto-Kohlenstoffintensität um insgesamt 45 % zu senken, ganz aufzugeben. Das ist das Aufweichen von Zielen, die eh schon ziemlich fraglich waren. Denn die Messung von Emissionen nach Intensität bedeutet nichts anderes, als dass Gesamtemissionen maßlos gesteigert werden können, solange mehr Ausgleichsmaßnahmen wie erneuerbare Energien im Produktmix vorkommen.
Klar ist die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas immer noch allgegenwärtig. Wir brauchen nicht Shell und Co, um uns darauf hinzuweisen. Ein zentrales Element der Geschäftsstrategie der Ölgiganten ist aber die Schuldverschiebung. Sie behaupten laufend, dass die Konsument:innen die Verantwortung für die Nachfrage nach fossilen Energien tragen. Diese Argumentation ist problematisch, da sie die eigene Macht und Verantwortung ignoriert. Diese globalen Konzerne haben die strukturellen und finanziellen Möglichkeiten, stärker in nachhaltige Energien zu investieren und diese Alternativen zu fördern, doch sie entscheiden sich für den profitabelsten Weg, der weiterhin auf fossilen Ressourcen basiert.
Dieser Zynismus und diese Gier haben tiefgreifende Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Letztlich stehen Shell und Co nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern für ein globales System, das kurzfristigen wirtschaftlichen Gewinn über langfristige Nachhaltigkeit stellt. „Drill, baby, drill“ ist, jetzt erst recht, das Motto der Stunde; ein angeblicher „Energienotfall“ wichtiger als das Überleben unseres Planeten. Das zeigt uns die Notwendigkeit für eine systemische Veränderung, um eine nachhaltigere und gerechtere Welt zu gestalten. Es braucht mehr Menschen mit Vision, um die Welt so zu gestalten, dass sie ein lebenswertes Zuhause für Pflanzen, Tiere und Menschen ist!
Weiterführend kann ich ein tolles Gespräch von der re:publica 2024 empfehlen, das ich oben bereits als Quelle zitiert haben. Darin unterhalten sich Eckart von Hirschhausen, Christian Stöcker, Laura-Kristine Krause und Clara Pfeffer: Neue Narrative – Wie wir über die Destruktion unserer Lebensgrundlage erzählen