Eine Geschichte erzählt von Patrick

Montag, 17. Februar 2025

Gute Wahlentscheidung!

Analyse der letzten Bundestagsrede von Robert Habeck in dieser Legislaturperiode

Vergangene Woche Dienstag, am 11. Februar, fand die letzte Debatte dieser Wahlperiode im Deutschen Bundestag statt. Robert Habeck hielt eine Rede, die zwanzig Minuten ging und mit dem Wunsch „Gute Wahlentscheidung!“ endete. Aber es war keine Wahlkampfrede. Anders als Scholz und Merz, und natürlich völlig anders als in der vorangegangenen TV-Debatte, konzentriere sich Habeck auf die drei unverzeihlich ignorierten Bereiche Klima, Bildung und soziale Gerechtigkeit. Habeck setzte mit einem kleinen Stich an:

»Sehr geehrte Damen und Herren, die meisten hier in diesem Raum werden wissen, wen sie am 23. Februar wählen. Wobei: Ich höre Stimmen aus Union und FDP, dass einige noch überlegen, wie sie diesmal abstimmen… «

… worauf laut stenografischem Bericht Dorothee Bär von der CSU dazwischen rief: „Er hört Stimmen! Mein Gott!“. Bemerkungen gab es die ganzen zwanzig Minuten über, wobei besonders bissige Zwischenrufe von den Fraktionen der AfD und CDU kamen, etwa von Storchs Rat „Die ganzen Geschichten schreiben Sie in Kinderbücher rein! Da ist das gut aufgehoben!“ oder Jens Spahns Frage „Prost! Können wir wieder was zur Wirtschaft hören?“.

Es stach heraus, dass es Habecks Wunsch war, nicht nach populistischer Manier den Wähler:innen billige Versprechen aufzutischen („weniger Asylsuchende“, „mehr Netto“), sondern die ganz große Frage zu stellen: Was sollten wir die nächsten 4 Jahre tun, damit wir noch lange in einem gerechten Land und auf einem gesunden Planeten leben? Reden über Migration und Wirtschaftswachstum haben an diesem Tag andere gehalten.

»Die Ziele des Klimaschutzes werden infrage gestellt aus Angst vor der Mühsal, sich der Arbeit der Umsetzung des Klimaschutzes zu stellen. Ich frage Sie: Welche Regierung wollen Sie haben? Wollen Sie eine Regierung, die Angst hat, die Arbeit zu machen, und sagt: „Nein, das ist zu anstrengend, wir weichen der Debatte aus“? Oder wollen Sie eine Regierung, die, obwohl sie weiß, dass es anstrengend ist, die konkreten Probleme angeht und löst?«

Habeck argumentiert, dass eine Abkehr vom Klimaschutz nicht nur Deutschland, sondern auch Europa und globalen Klimaschutz gefährden würde. Er sieht unser Land hier klar in einer Vorreiterposition, nicht nur durch Technologie, sondern auch durch politischen Willen. Wie schwer es werden kann, andere Länder an Klimaziele zu erinnern, wenn man selbst im Tagesgeschäft den Klimaschutz hintanstellt, musste er nicht extra betonen, machte es aber trotzdem. Sehr stichhaltig war Habecks Zitat des bekannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021. Wer es noch nicht kennt: Darin hat unser höchstes juristisches Verfassungsorgan entschieden, dass die Menschen unseres Landes „in ihren Freiheitsrechten verletzt“ werden, wenn die „hohen Emissionsminderungslasten“ unumkehrbar „auf Zeiträume nach 2030 verschoben“ werden. Heißt im Klartext: Warten ist nicht mehr drin! Im gleichen Beschluss steht auch, dass vom Klimanotstand „potenziell (…) jegliche Freiheit(en)“ betroffen, weil „nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens (…) von drastischen Einschränkungen bedroht“ sind. Deutlicher kann man nicht auf den Punkt bringen, dass der heutige Klimaschutz eine Verpflichtung ist, um die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen zu schützen.

Vom Klimaschutz wechselte Habeck nahtlos zum nächsten großen Zukunftsthema, um das es im Wahlkampf 2024/25 überraschend ruhig war. Er betonte den massiven Investitionsstau in Schulen und Kitas, der sofortigen Handlungen bedarf.

»Der zweite (…) Punkt, an dem es um die Entscheidung über die Zukunft geht, ist der Bildungsbereich. Er ist weder bei der TV-Debatte noch heute hier mit irgendeinem Wort erwähnt worden. Wir haben einen Investitionsstau nur in den Bildungsgebäuden von 55 Milliarden Euro. (…) Es werden absehbar 100.000 Lehrkräfte in den Schulen und in den Kitas fehlen. Die Zahl der Analphabeten, die die Schule verlassen, steigt wieder. 13 Prozent eines Jahrganges – das ist über dem europäischen Durchschnitt – verlässt die Schule, ohne eine Berufsqualifizierung zu haben. (…) Wir wollen ein großes Investitionsprogramm für die Schulen und für die Kitas auflegen.«

Für Habeck ist Bildung ein Schlüssel zur sozialen Gerechtigkeit und zum Zusammenhalt der Gesellschaft. Und ganz interessant: Er plädierte dafür, dass die Bundesebene stärker in den Bildungsbereich investiert. Es ist ein Kernelement des deutschen Föderalismus, dass die Länder über die Kulturhoheit, deren Herzstück die Bildungspolitik ist, verfügen. Entsprechend finanzieren die Länder (unter Einbeziehung der Gemeinden) über 85 % aller öffentlichen Bildungsausgaben. Habeck argumentiert, dass diese Finanzierung und Zuständigkeit durch die Bundesländer einer anderen Zeit entstammen. Mehr finanzieller Spielraum für Schulen und Bildungszuständigkeiten beim Bund wären eine Idee – die andere brachte laut stenografischem Bericht wiederum von Storch ein: „Die brauchen nicht mehr Geld, die brauchen mehr Kinder, die Deutsch sprechen.“

Im letzten großen Themenschwerpunkt – soziale Gerechtigkeit – zeigte Habeck noch einmal, wie der Kampf um Klimaschutz immer auch ein Kampf um ein sozial verträgliches Miteinander ist.

»Die dritte entscheidende Weiche, wirklich eine fundamentale Weiche, die bei der Bundestagswahl gestellt wird, ist: Wie gerecht geht es in Deutschland in Zukunft zu? Die Stichworte, die ich Ihnen für meine Partei, für mich geben kann, beziehen sich darauf, dass wir die unteren Haushaltseinkommen entlasten wollen, diejenigen, die es nötig haben, über verschiedene Maßnahmen. Fangen wir mal mit dem 49-Euro-Ticket an, das schon mal eine gute Klimaschutzmaßnahme ist, weil wir damit die Attraktivität des ÖPNV deutlich stärken; so ist es ja auch mal eingeführt worden. Aber es ist natürlich auch eine super sozialpolitische Maßnahme. Und dass jetzt eine eingeführte, funktionierende sozialpolitische Maßnahme als Allererstes von der Union infrage gestellt wird, (…) aber auf der anderen Seite die Millionäre und die Supereinkommen entlasten will, das erzählt doch schon die ganze Geschichte.«

Es war bereits stilistisches Glanzstück, sich in dieser letzten Rede nicht in Polemik zu verirren; auch oder insbesondere in Kontrast zu den unzähligen Zwischenrufen. Ebenfalls wurde wieder einmal deutlich, wie stark Habeck von seinen inneren Überzeugungen angetrieben und vor sich hergetrieben wird. Für einen progressiven Politiker seiner Couleur steht die Verbesserung der Lebensrealität aller Menschen im Vordergrund, egal welcher Herkunft. Dass Sozialpolitik eng mit Umweltpolitik verwandt ist, dafür stand in den letzten vier Jahren vor allem das hier genannte, ehemalige 49-Euro-Ticket. Anders als bei der Abschaffung des Cannabis-Gesetzes haben die Bier-Lobby-Parteien CDU und CSU die Streichung des „Deutschlandtickets“ übrigens nicht in ihren Wahl- oder Sofortprogrammen gelistet. Christian Haase, der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat die Abschaffung aber als realistisch bezeichnet, wenn man sich über die weitere Finanzierung nicht einigen könne. Die sozialen Auswirkungen wären empfindlich; wir wissen aus Statistiken, dass das Deutschlandticket der durchschnittlichen Pendlerfamilie drei- bis vierstellige Beträge im Jahr spart.

Und wem all das Vorherige nicht so wichtig ist, vom Klimaschutz bis zu dem Zustand der Schulen, der sieht hier noch einmal, dass Politik ein Cui-bono-Geschäft ist. Bei der Summe aller Großspenden (alle Spenden über 35.000 Euro) seit dem Ampel-Aus liegen CDU/CSU mit mehreren Millionen Euro über den zweit- und drittplatzierten AfD und FDP und mehr als sechsmal so hoch wie die Grünen. Eine sozial- und umweltverträgliche und damit menschenwürdige Politik ist von den erstgenannten drei Parteien nicht zu erwarten. Aber wer frei von Lobbyerwartungen ist, kann, wie es Habeck und vor ihm Olaf Scholz getan haben, andere Fragen stellen. Die Fragen, deren Antworten wirklich die Mehrheit in unserem Land interessieren. Als Scholz als Erstredner eine Steigerung des Mindestlohns auf realistische 15 Euro forderte (das ist in etwa der Mindestlohn in den Niederlanden), rief Beatrix von Storch bereits dazwischen: „Warum nicht auf 25 Euro?“. Kann man der Enkelin von Hitlers Finanzminister und ihrer Pöbel-Partei am Sonntag vielleicht doch die Quittung schicken?

Gute Wahlentscheidung!

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