Eine Geschichte erzählt von Jörn und Patrick

Freitag, 11. April 2025

beyond beyond content Nr. 6 – Wir machen den eXit!

… Weil langsam reicht’s dann mal

Vor ungefähr 10 Jahren hat der Name Elon Musk noch andere Emotionen ausgelöst. Er war damals der teils visionäre, etwas träumerische und ziemlich nerdige Chef von Tesla und SpaceX. Nicht weniger, aber halt auch nicht viel mehr. Seither hat sich einiges getan und der Name Musk steht heute für so viel mehr als E-Autos und Raumfahrt. Wie sich nämlich herausstellte, ist die Sache mit Elons Ambitionen komplexer. Er hat, allen Persönlichkeitsmerkmalen vorangestellt, ein deftiges Demokratie-Problem und dieses wurde seit der Corona-Zäsur laufend schlimmer. Und da sich der südafrikanische Einwanderer, der seit 2002 den amerikanischen Pass hat, bemüßigt fühlt, mit dem Erwerb von Twitter auch die Nachrichtenbranche disruptiv ins Chaos zu stürzen, fängt mein Problem mit ihm so richtig an. Mein Problem? Na ja, vor allem unser Ärgernis. Wir bei beyond content möchten da nicht mehr mitmachen und das sind die Gründe:

Grund 1: Meinungsfreiheit meint nicht Hitlergrüße und Volksverhetzung

Ihr First Amendment (der erste Zusatzartikel zur US-Verfassung) ist den Amerikanern heilig und hat durch die Rechtsprechung der letzten hundert Jahre radikale Züge angenommen; zumindest durch die europäische Brille. Jemanden in den USA wegen „Beleidigung“ oder „Volksverhetzung“ zu belangen, ist so gut wie unmöglich. All das gab es schon lange vor Trump. Es brauchte erst den Immobilien-Hai mit der Straßenklugheit eines Gebrauchtwagenhändlers, um aus dem First Amendment seine eigene Bewegung zu machen.

In analogen Zeiten wäre es egal gewesen, wenn lenkbare Menschen nachplappern, was sie irgendwo gehört haben. In der digitalen Zeit ist es aber gefährlich, wenn Hitlergrüße auf Bühnen hunderttausendfach in sozialen Medien geteilt werden. Talentierte Hetzer wie Steve Bannon strecken ihren rechten Arm in die Höhe. Nicht, weil sie „Nazis“ sind; dieser Vorwurf ist tatsächlich absurd. Sie tun es, weil sie damit ein Zeichen setzen. Alles darf gesagt und gemacht werden, ohne Konsequenzen; so stellen sich rechtslibertäre Kreise ihre „Freiheit“ vor. Es ist genau diese „Meinungsfreiheit“, die in der DNA von X liegen soll, und die immer mehr zum Verschieben dessen führt, was sozial angenommen wird. Wir bei beyond content möchten nicht in einer Welt leben, in der alles akzeptiert wird. Die deutsche Erinnerungskultur ist – trotz AfD – ein Erfolgsmodell seit 1945, das es zu schützen und hochzuhalten gilt.

Grund 2: Wer Musk unterstützt, der unterstützt Trump

Als Trump am 6. Januar 2021 vor den Augen der ganzen Welt versuchte, einen Putsch durchzuführen, waren sich liberale Medien einig, dass das sein Ende war. Es kam anders. Nachdem Musk 2022 Twitter gekauft hatte, wurde Trumps Account wieder freigeschaltet und ihm obendrauf eine Millionenzahlung geleistet, um einen laufenden Rechtsstreit beizulegen. Über Musks Nähe zum Trump-Umfeld muss seit November letzten Jahres nichts mehr gesagt werden. Die beiden sind ideologisch und finanziell so eng verbandelt, dass jede Unterstützung von Musk einer Unterstützung von Trump gleichkommt. Insgesamt hat Musk 288 Millionen USD in Trumps Wiederwahl investiert. Im Gegenzug hat er Einfluss gewonnen und sich in den Mittelpunkt der neuen Regierung gestellt. Er hat begonnen, seine Macht zu nutzen, widersetzt sich jeder Kritik und hat Zugang zu hochsensiblen persönlichen Daten von Millionen US-Amerikanern.

Eigentlich egal, welches Produkt des Musk-Portfolios man nutzt, ob man einen Tesla fährt, Starlink oder Grok verwendet, oder – wie wir – der Welt guten Content auf X zur Verfügung stellt: Man zahlt in ein Imperium ein, dessen politische Bestrebungen schrecklich sind. Wir stecken viel Energie und Leidenschaft in unseren Content. Und verfolgen dabei Ziele, die inzwischen diametral zu Musks Ansichten sind. Dieser hat momentan alle Hände voll zu tun, mit „DOGE“ (Department of Government Efficiency, die neu gegründete Abteilung für Regierungseffizienz) unliebsame Staatsbeamte aus ihren Jobs zu drängen, Krebshilfen zu kürzen und humanitäre Entwicklungsprogramme wie USAid zu schließen.

Grund 3: Progressive Inhalte sind auf X ohnehin im Nachteil

„Aus Gründen“ scheinen es progressive Botschaften und Umweltthemen auf X schwerer zu haben, Reichweite zu erzielen. Das Wall Street Journal und die Washington Post haben bereits über eine mögliche Rechtslastigkeit der Algorithmen von X geschrieben. Deren und andere Untersuchungen werden mit neu erstellten Test-Accounts durchgeführt, unter klar definierten Bedingungen. Die Ergebnisse ähneln sich: Ob „neutrale“ oder „politisch interessierte“ Test-Accounts, es schien immer zu einer Bevorzugung rechter Inhalte zu kommen. Lediglich die Washington Post (Eigentümer: Jeff Bezos) nahm sich zurück, dem Ganzen einen Vorsatz zu unterstellen. Was aber dafür spricht: Seit Musk im Juli 2024 begann, Trump aktiv zu unterstützen, sind sowohl seine eigenen Beiträge als auch die ausgewählter Republikaner:innen noch „beliebter“ geworden (wurden also X-Nutzern häufiger ausgespielt als Artikel mit anderer politischer Färbung). Eine „Vorfahrtsstraße“ für die Posts vom CEO, den ich nur durch Blockieren auch wirklich aus meiner Timeline bekam? Einiges spricht dafür. Einer QUT-Studie zufolge haben Musks Beiträge ab dem 13. Juli 2024 im Durchschnitt 138 Prozent mehr Aufrufe und 238 Prozent mehr Retweets erhalten als vor diesem Datum.

Musk wurde nach seiner Unterstützung von Donald Trump plötzlich sehr viel „beliebter“. (Screenshot: QUT-Studie)

Musk wurde nach seiner Unterstützung von Donald Trump plötzlich sehr viel „beliebter“. (Screenshot: QUT-Studie)

Und wie sehen die Algorithmen von X bezogen auf Deutschland aus? Erst kürzlich hat die internationale NGO Global Witness eine Studie veröffentlicht. Mehrere Social-Media-Plattformen wurden untersucht und auch hier arbeitete man mit Test-Accounts, die zu Beginn keinen politischen Profilen folgten. Es wurde beobachtet, dass den „leeren“ Accounts vermehrt Inhalte der AfD angezeigt wurden. Folgte man von den Test-Accounts diversen Politker:innen der gesamten deutschen Politiklandschaft, wurden die Inhalte der AfD und von Alice Weidel bevorzugt und die anderen Parteien und Kandidat:innen seltener angezeigt. Viele Untersuchungen, derselbe Verdacht: Rechte Inhalte werden vom X-Algorithmus präferiert. Uns treibt das um: Der digitale Gastauftritt von Musk beim AfD-Wahlkampfauftakt in Halle war so ziemlich der finale Grund, unseren eXit zu vollziehen.

Grund 4: Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen

Wir haben bereits vor einigen Wochen aufgehört, auf X zu posten oder die Plattform für Recherchezwecke zu nutzen. Vielleicht gibt’s noch diesen Beitrag als Schlussstrich, dann ist es endgültig vorbei. Übrigens ist es besser, bei einem eXit die Profile zu deaktivieren, anstatt sie zu löschen – falls ein Troll auf die Idee kommen sollte, den frei gewordenen Handle für böse Absichten zu verwenden.

Unser eXit wird X nicht wehtun. Aber er wird auch uns nicht wehtun. Wir möchten keine Plattform legitimieren, die durchgedrehte Demagogie, Autokratie und Wissenschaftsleugnung hofiert. Nur der Gedanke, Teil des kommerziellen Musk-Imperiums zu sein, reicht für den Entschluss. Mit unseren Gedanken und Befürchtungen sind wir nicht alleine. Viele deutsche oder europäische Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen haben X den Rücken gekehrt, weil Musk Handlungen nicht mehr mit ihren Grundwerten vereinbar sind. Positiv: Insbesondere Musks größte Cashcow leidet. Die Nachfrage nach Teslas fällt global und besonders stark in Europa. Die Verkäufe in Deutschland, Europas größtem Markt für Elektrofahrzeuge, sind im Februar im Vergleich zum Vorjahr um 76 % eingebrochen, in Norwegen um beinahe 50 %, in Frankreich um immerhin 26 %. Teslas Aktienkurs ist seit einem Höchststand im Dezember wieder unter seinen Wert vor der US-Wahl gefallen. Verbraucher haben eine Macht, die sie nutzen sollten. Und glücklicherweise gibt’s ja auch Alternativen. Jörn und beide Patricks nutzen seit einigen Monaten verstärkt Bluesky, das um 2021 von Jay Graber und Twitters Jack Dorsey gegründet wurde. Außerdem ist auch Mastodon eine gute Optionen, wenn man von X genug hat. Klar ist man hier im progressiven Umfeld bislang noch etwas unter sich, aber angenehmer ist es dort allemal.

Das Bluesky von Jörn, Patrick Niedermayer und der kleinen Wesen

Das Bluesky von Jörn, Patrick Niedermayer und der kleinen Wesen

Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen. Unser eXit ist nur ein Symbol, eine kleine Form des Protests, eben unsere Art zu sagen: Langsam reicht’s dann mal. Niemand weiß, wo die Reise des verrückten Musk hingeht. Aber es gibt zig Alternativen zu all seinen Geschäftsfeldern. Lasst sie uns nutzen!

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